Claudia: Der grosse Wendepunkt
Nie harte Drogen konsumieren! Das war das Motto
unserer etwa 40-köpfigen Clique. Haschisch bis zum Umfallen
war erlaubt, ja sogar gewünscht. Je härter man am Joint
ziehen konnte, desto höher stieg man im Rang innerhalb der
Gruppe. Alkohol und ausschweifende Partys gehörten zum Wochenendprogramm.
Ab und zu mal einen Trip (LSD) schmeissen bedeutete ein ganz besonderes
Wochenende. Diese Partys schweissten uns zusammen und wir fühlten
uns als Clique unüberwindbar stark.
Die Clique wurde zu meiner Familie
Ich habe gute Erinnerungen an meine Kindheit; es
hat mir an nichts gefehlt. Trotzdem hatte ich als Teenager ein sehr
mageres Selbstwertgefühl. Ich wurde in diesen Jahren aufmüpfig
vor allem gegen den Vater was das Klima zu Hause sehr
strapazierte.
Mit 18 Jahren zog ich in meine erste eigene Wohnung
und absolvierte eine Lehre als Telefonistin bei der PTT. Die Wochenenden
beinhalteten regelmässig Abstürze mit sogenannten "weichen"
Drogen. Ich gehörte zu einer Clique, die mir bald zur zweiten
Familie wurde. Hier holten wir uns alle Kraft, um den Alltag einigermassen
zu überstehen. Ich merkte aber gleichzeitig, wie leer und ausgelaugt
ich dabei wurde. Eigentlich wünschte ich mir, einmal eine eigene
Familie zu haben, doch meine Beziehungen zu Männern waren von
kurzer Dauer.
Aus einmal wurde täglich
Mit 20 Jahren lernte ich einen ehemals heroinabhängigen
Mann kennen und es begann eine schwierige Beziehung. Schon nach
kurzer Zeit wollte ich zusammen mit ihm einmal Heroin ausprobieren,
damit ich endlich am eigenen Leibe erfahren konnte, gegen was ich
seit Jahren kämpfte. Wir snifften es gemeinsam. Aus diesem
"einen Mal" wurde ein "Täglich". Er ging
dealen, ich ging arbeiten. Ein Jahr lang hielten wir uns so über
Wasser, bis ich spürte: Ich muss hier raus.
Meine Mutter nahm mich sofort auf und half mir durch
den Entzug. Sobald ich nüchtern war, überkam mich wieder
diese innere Leere und Einsamkeit, die ich mit starkem Alkoholkonsum
und nächtelangem Ausgehen auszufüllen versuchte.
Reise durch Indien
Im Januar 1989 überredete mich ein guter Freund
mit ihm ein halbes Jahr durch Indien zu trampen. Ich überlegte
nicht lange, da das einsame Leben in der Schweiz mir eh zum Halse
heraushing. Schon in der ersten Woche auf der Reise konnten wir
dem Heroin nicht widerstehen. Ich begann erstmals zu injizieren
und kam nach diesem halben Jahr Indien völlig abgestürzt
nach Hause.
Es folgte eine Zeit, in der ich mich von einem Entzug
in den nächsten bewegte. Immer wieder versuchte ich in meinem
Leben eine "normale" Richtung einzuschlagen. Aber die
Spirale drehte sich unwillkürlich nach unten.
Ich wollte doch nur Freude am Leben
Eine Arbeitskollegin wurde für mich in diesem
Ab-schnitt meines Lebens eine grosse Hilfe, wobei ich ihre Nähe
äusserlich völlig ablehnte. Trotzdem blieb sie dran und
versuchte mich zu stützen, wo es ging. Ich begriff nicht, wie
jemand Zeit und Liebe in mich einen Junkie investieren
konnte! Ich begriff nicht, wie sie das Leben so lebenswert finden
konnte. Sie erzählte mir einige Male von Gott und von Jesus
Christus, was mich aber wenig interessierte. Und doch spürte
ich: Sie hat Freude am Leben und ich wollte doch auch nur
Freude am Leben haben. Gab es das überhaupt, Freude am Leben,
ohne mit Alkohol oder Drogen vollgepumpt zu sein?
Mehr und mehr wurde ich neugierig auf ihr Leben.
Eines Tages nahm sie mich in ihre Kirche mit. Sie zeigte mir ihre
Freunde und sie zeigte mir ihren Gott. Ich wusste, verlieren konnte
ich nicht mehr viel. Deshalb betete ich und vertraute mich in meinem
Herzen diesem Gott einfach mal an.
Neue Beziehungen neues Leben
Im April 1990 machte ich erneut einen Entzug in
Zürich. Drei Wochen später begann ich im Kanton Bern eine
zweijährige Therapie. Ich erlebte diese Zeit sehr intensiv.
Es war eine grosse Herausforderung, miteinander das Leben auf engem
Raum zu teilen und dabei miteinander auszukommen. Aber gerade diese
Enge verhalf mir, andere in meine Nähe zu lassen und zu spüren,
dass wenn ich mich öffne, gesunde Beziehungen entstehen können;
Beziehungen, die übrigens heute noch tragend sind für
mich.
Seit 1990 lebe ich drogenfrei. Ich absolvierte später
eine dreijährige Ausbildung zur Sozialtherapeutin. Durch Therapie,
Glaube, Arbeit und Ausbildung erhielt mein Leben eine grundlegende
Änderung und eine neue Bedeutung. Nicht dass ich ein Leben
ohne Schwierigkeiten hätte, doch allein die Drogenfreiheit
ist mein Gewinn. Vielfach kommen meine tiefer liegenden Probleme
erst jetzt zum Vorschein. Mein als Teenager selbst angelegter Schutzwall
beginnt immer kleiner zu werden, was auch mit viel Unsicherheit
und Angst verbunden ist. Es ist für mich keine Lösung
mehr, diese Gefühle mit Drogen zu verdrängen, sondern
ich möchte nüchtern zu meinen Schwächen stehen können,
und ich merke, wie ich von meinen Mitmenschen so angenommen werde,
wie ich bin, und gerade dadurch tiefere, tragende Beziehungen entstehen
können.
... und heute
Seit zwei Jahren bin ich verheiratet und habe inzwischen
eine 4-jährige Ausbildung zur Sozialtherapeutin abgeschlossen.
Ich arbeite zu 20% in einer Beratungsstelle und zu 80% im Personalbüro
einer Firma, die im Netzwerkbereich tätig ist.
Es geht mir persönlich sehr gut, obwohl ich
manchmal auch schmerzhafte Prozesse durchmache. Doch ich freue mich,
dass Gott mich in diese Prozesse stellt und ich bin glücklich
darüber, dass ich als Christin weiterhin wachsen und reifen
kann.
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