Jürg: Der Vorzeigejunge wird rückfällig
Harter Typ mit weichem Kern
Mein Leben begann als Unfall. Ich war nicht geplant
und meine Eltern waren nicht gerade glücklich, dass sie wegen
mir heiraten mussten. Die Konsequenzen einer solchen Beziehung trafen
mich im Alter von sechs Jahren: Meine Eltern liessen sich scheiden
und ich wurde krank und rebellisch. Verschiedene Kurhaus- und Heimaufenthalte
bestimmten fortan mein Leben. Erst als ich 16 Monate später
zu meiner Grossmutter ziehen durfte, weil kein Heim mehr die Verantwortung
für mich übernehmen wollte, erlebte ich wieder Geborgenheit.
7 Jahre später starb meine Grossmutter und ich zog zu meinem
Vater. Sein liberaler Erziehungsstil war nicht gerade das, was mir
Orientierung und Halt gegeben hätte. Ich brach meine Lehre
als Kellner ab und schloss mich der damaligen Hippiebewegung an.
Sun, fun and make love wurde zu meiner Lebensphilosophie. Durch
Drogenschmuggel und Handel finanzierte ich meinen Lebensunterhalt.
Mit 17 erwischte mich die Polizei bei einem
2-kg-Deal in Marokko.
Verurteilt zu einer Gefängnisstrafe von eineinhalb
Jahren durchlitt ich Ereignisse, die mein junges Leben traumatisierten.
Drei Monate später wurde ich zu meinem Glück gegen Kaution
freigelassen. Wieder zu Hause wurde ich als der harte Typ gefeiert.
All meine Ängste und die Tränen, die ich hinter Gitter
vergossen hatte, blieben mein Geheimnis. Obwohl ich genug Geld verdiente
und in der damaligen Juppie Szene als Disc Jockey einen Namen hatte,
nahm mein Leben gefährliche Dimensionen an. Ich experimentierte
mit allen Drogen, die im Handel angeboten wurden. Mein exzessiver
Konsum war nicht mehr zu finanzieren. Ich wurde kriminell, auf frischer
Tat erwischt und kam erneut in Untersuchungshaft. Trotz einer massiven
Anklageschrift wurde ich zu meinem Erstaunen, statt zu den vom Staatsanwalt
geforderten 3 Jahren Haft, zu einer ambulanten Massnahme verurteilt.
Beschämt über das Doppelleben
Da stand ich nun mit einem Koffer in der Hand vor
dem Gefängnis. Ich fühlte mich wie ein Hoffnungsloser,
der innerlich nach Erlösung schrie und sich nicht selber helfen
konnte. Eine Tante von mir sorgte dafür, dass ich in einer
christlichen Wohngemeinschaft aufgenommen wurde. Das selbstlose
Engagement dieser Christen be-rührte mein Herz und überzeugte
mich von ihrem Glauben. Nach einiger Zeit entschied ich mich, mein
Leben Jesus Christus anzuvertrauen und nach seinem Willen zu leben.
Doch ich schaffte es nicht, ich wurde rückfällig und führte
ein Doppelleben, konsumierte Drogen und war in vielen Punkten unverbindlich.
Eines Tages flog das Versteckspiel auf und ich war zutiefst beschämt,
dass ich meine Freunde derart hintergangen hatte.
Wieder bei den Obdachlosen
1985 entschied ich mich, eine christliche Therapie
zu machen. In dieser Zeit formte Gott einen neuen Menschen aus mir.
Anschliessend arbeitete ich bei einer grossen Zeitung, wo ich einen
tollen Job mit guten Aufstiegs-chancen hatte. Doch im November 1989
entdeckte ich ein Stelleninserat, das mein Herz berührte. Gesucht
wurde ein Betreuer für Obdachlose. Ich spürte, dass dies
mein Weg ist. So liess ich den chancenreichen Job fahren und nahm
die Stelle in einem Passantenheim der Heilsarmee Bern an. Auch in
meinem Privatleben war viel los. Ich war aktiv in einer Kirchgemeinde,
leitete eine Gruppe von ehemaligen Drogensüchtigen, machte
Einsätze auf dem Platzspitz in Zürich, dem damaligen Drogenzentrum
Europas und besuchte Konfirmanden- und Schulklassen. Ich war plötzlich
ein gefragter Mann in den christlichen Kreisen. In dieser Zeit lernte
ich auch meine Frau kennen.
Schritte zum Rückfall
Mein überaktiver Lebensstil löste schon
bald die ersten Spannungen in unserer jungen Ehe aus. Als ich dann
noch die Ausbildung zum Sozialtherapeuten begann, war ein Burnout
vorgezeichnet. Gegen Schlafstörungen und Anspannung halfen
nur noch Medikamente, von denen ich schliesslich abhängig wurde.
Schamgefühl und die Angst vor Ablehnung hinderten mich daran,
mit jemandem über meine Probleme zu reden. Ich verstrickte
mich immer mehr in Lügen, war nicht mehr transparent und spielte
eine Rolle im falschen Film. Der Riss in mir wurde immer tiefer,
der Druck immer grösser, bis ich diesen Zustand nicht mehr
aushielt. Ich wurde rückfällig und konsumierte 10 Tage
lang Heroin. Meine Frau durchschaute mich und half mir, mich zu
outen und die nötigen Schritte zu unternehmen. Trotz anfänglich
starkem Widerstand war ich nun bereit, die Konsequenzen für
mein Verhalten zu (er)tragen. Ich kündigte meine Arbeitsstelle
und gab sämtliche Verantwortungsbereiche auf. In einer Kurztherapie
auf einem Bauernhof hatte ich Zeit, meine Situation zu reflektieren.
Ständig war ich meistens unbewusst auf der Suche
nach Anerkennung, um meinen Selbstwert aufzubauen. Die Erklärung
dafür lag in meiner Vergangenheit: Ein in Ablehnung Geborener,
dessen Urvertrauen derart verletzt ist, kämpft dauernd um Anerkennung,
um sein schwaches Selbstwertgefühl aufzubauen. Gott kennt jede
Not. Durch den Rückfall zeigte er mir, wie es in mir ausschaute.
Der Bibelvers: "Ich habe dich aus Liebe zu mir gedemütigt..."
hat mein Herz ganz persönlich und tief berührt. Sein Plan
mit mir geht weiter!
Auf der Hut sein
Heute arbeite ich wieder als Sozialtherapeut in
einem Passantenheim der Heilsarmee. In meinem Dienst als Betreuer
begegne ich täglich Menschen, die irgendwie rückfällig
geworden sind und darunter leiden. Es sind Menschen, denen ich aus
meiner Erfahrung erzählen und ihnen Hoffnung und Orientierung
vermitteln kann. Rückfall ist und bleibt ein Thema. Nicht nur
spezifisch suchtmittelbezogen; Rückfall heisst für mich,
auf der Hut zu sein vor dem Zurückfallen in alte, destruktive
Verhaltensmuster! Meine Frau und ich arbeiten als Team an diesem
Prozess und auch Gott ist in dieser Teamarbeit mit uns. In einem
Bibelvers heisst es: Denn ein Team hat es leichter und ein
Seil aus drei Schnüren reisst nicht so schnell.
Rückfall? Was dann?
Veränderungen die wir uns an uns selber wünschen,
erreichen wir nicht immer mit Leichtigkeit. Selbst die besten Vorsätze
sind nicht einfach umzusetzen. Deshalb ist es ratsam, Versagen mit
einzuplanen. Zu versagen bedeutet ja nicht, dass alles bisher Erreichte
nichts mehr wert ist und wir wieder bei Null anfangen müssen.
Destruktive Gedanken wie "Es hat doch alles keinen Sinn"
oder "Ich schaffe es halt doch nicht" sind zerstörerisch
und Lügen, die wir nicht glauben dürfen. Unser Versagen
ist ein Zeichen dafür, dass wir Gottes Erbarmen nötig
haben. Von Gott sind wir übrigens nicht geliebt, weil wir so
perfekt sind und unsere Vorsätze so toll umsetzen können.
Wir sind von ihm geliebt, ohne es verdient zu haben und unabhängig
davon, wie erfolgreich wir uns verändern. Das ist die Gnade
Gottes an uns. Unser Scheitern soll uns daran erinnern, dass Jesus
Christus über unsere schlechten Gewohnheiten, Süchte und
Ängste längst gesiegt hat am Kreuz auf Golgatha. Weil
er sich stellvertretend für uns opferte und uns immer wieder
vergibt, dürfen wir, nachdem wir gestolpert sind, wieder aufstehen
und weitergehen, im Bewusstsein, dass wir auf seine Hilfe angewiesen
sind und unserer eigenen Kraft nicht vertrauen können.
Unser Versagen hindert Gott nicht, uns zu verändern!
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